Die vielen Gründe am nächsten Wochenende auf die Straße zu gehen

Hallo liebe InfoOffensive,

ich gehöre zu dem Teil der StuttgarterInnen, der friedlich und unpolitisch vor sich hinlebte, bis er von Stuttgart21 unsanft aus seiner heilen schwäbischen Welt gerissen wurde. Der sich plötzlich mit vielen anderen auf der Straße wiederfand, und der sich nicht nur mit Geologie, mit Fahrgastzahlen und Länderfinanzen, sondern auch mit Begriffen wie „Grünflächenverordnung“ und „Versammlungsrecht“ auseinandersetzen musste. Wo man sich früher zu einem Laternenumzug einfach verabredet hätte, überlegte man nun, ob man das als Versammlung anmelden müsste.

Irgendwann nannten die Medien mich „Aktivistin“ (ich hatte eine Postkarte an die Rathaustür geklemmt) – eine Bezeichnung mit der ich mich bis heute nicht anfreunden kann. Aktivisten hängen von Brücken und ketten sich an Bäume. Sie schreiben und verteilen doch keine Flugblätter, oder? Später nannte man uns Wutbürger. Auch nett. Wut ist irrational und bedrohlich – sind wir irrational? Sind wir bedrohlich? Wen oder was bedrohen wir eigentlich?

+++ „Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode“ +++ steht auf dem Mobiflyer zum 29.09. – und dieses Shakespeare-Zitat ist erschreckend zutreffend. Wir haben es dank unseres schwäbischen Häuslebauer-Images zum großen Teil geschafft, das übliche Spiel aus Diffamierung und Kriminalisierung zu durchbrechen. Unsere absolute Friedfertigkeit am 30.09.2010, zusammen mit der von uns gelieferten Bilderflut hat es nahezu unmöglich gemacht, uns in die radikal-kriminelle Ecke zu stellen. Denn dort landen ja alle, die sich auflehnen: Der Protest gegen die Startbahn West wurde uns in der Tagesschau als randalierender Mob präsentiert. Nicht als Protest betroffener Anwohner. Atomkraftgegner waren von je her irgendwie gewaltbereit und warfen Brandsätze. Niemals waren es Bauern aus dem dünn besiedelten Wendland. Naziaufmärsche stehen immer radikalen Autonomen gegenüber – normale Anwohner wehren sich nicht. Aktuell dürfen wir erfahren, dass eine einfache Personalienfeststellung im (illegalen) Polizeikessel bis zu 6 Stunden dauern kann, weil alle ja so gewaltbereit sind: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.npd-aufgebot-in-stuttgart-innenminister-findet-fehler-bei-polizeieinsatz.2c946fda-bccf-4d1b-93a0-251b4aaad6cf.html Was sollen wir anderes daraus schließen als „bleibt weg von solchen Veranstaltungen, das ist nichts für normale Bürger“?

Das für mich erschreckendste Beispiel: (Bl)Occupy Frankfurt. Kitas und Unis wurden geschlossen, BankmitarbeiterInnen in Angst und Schrecken versetzt vor dem schrecklichen und wütenden Mob, der plündernd und brandschatzend durch die Bankenviertel ziehen würde. Was gab es am Ende wirklich? Eine einzige Anzeige wegen Beleidigung (http://www.fr-online.de/frankfurt/frankfurt-blockupy-randale-ohne-folgen,1472798,17284466.html). Aktuell wird die Occupy-Bewegung totgeschrieben – aber das haben wir ja auch bereits hinter uns gebracht.

Wir haben die wirkliche Gewalt erlebt – die Gewalt des Staates und seiner Schergen am Schwarzen Donnerstag. Für viele von uns war das der Tag, an dem ihr Glaube an den Rechtsstaat in seinen Grundfesten erschüttert wurde. An dem wir fassungslos vor der entfesselten Übermacht der Staatsgewalt standen. An dem wir nicht in der Lage waren, mit unseren friedlichen Mitteln die nachweislich illegale Parkrodung zu verhindern. Für uns, deren einzige Waffen Trillerpfeifen, Trommeln und vielleicht Kastanien waren, war das der Tag an dem uns demonstriert wurde, wie wenig Gewicht die Stimme des Volkes hat, von der laut Grundgesetz doch alle Macht ausgehen soll. Ich selbst habe mich noch nie so machtlos gefühlt wie in dieser Nacht. Ich kann nicht mehr unbefangen mit Polizisten sprechen, seit ich weiß, wie willfährig sich die Polizei hat instrumentalisieren lassen. Niemand aus den Führungsriegen hatte das Rückgrat dem ganz offensichtlich planlosen Treiben Einhalt zu gebieten, die Verhältnismäßigkeit einzufordern, die Bestandteil der Polizeiausbildung ist. Allein der Gedanke daran, dass Rettungskräfte nicht vorab informiert, ihnen später der Zugang zum Gelände verwehrt wurde verursacht mir bis heute Gänsehaut. Und bis heute ist nicht aufgearbeitet wer wann wem welchen Befehl gab, wer welche Entscheidung getroffen hat. Warum eigentlich? Warum dürfen wir Bürger nicht wissen, wer angeblich in unserem Namen was anordnet?

Wir können nicht vergessen, wir wollen nicht vergessen – und deshalb werden wir auch nicht vergessen. Im Gegenteil, am 30.09.2012 werden wir +++ Gedenken, mahnen, achten +++.

Vor dem 30.09.2010 hätte ich nie gelaubt, dass ich so viele Freunde haben würde, die Ärger mit Polizei und Justiz hatten – und diese hätten sich das sicher selbst nicht träumen lassen. Wer die Verfahren zur Parkräumung am 14./15.02.12 verfolgt wird wie ich entsetzt darüber sein, dass es trotz offensichtlicher Verfahrensfehler, trotz fehlender Beweise der Polizei, trotz offensichtlicher Gedächtnislücken der angeblichen Zeugen möglich ist, Bürger zu Geldstrafen verurteilen. (Jochen hat das schön zusammengestellt: http://schaeferweltweit.wordpress.com/2012/09/04/amtsgericht-stuttgart-blendet-die-wirklichkeit-aus/) . Wir sind ganz offensichtlich recht weit von diesem Rechtsstaat entfernt, an den ich vor 2 Jahren glaubte. Sogar manchen Medien ist aufgefallen, dass die Ermittlungen gegen die engagierten BürgerInnen sehr einseitig erfolgt: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87347212.html

Wir alle haben seither viele Lektionen gelernt. Auf die des schwäbischen Pflastersteins, die uns gelehrt hat, dass man als Bürger alles, jede Beobachtung, jedes Ereignis dokumentieren muss, hätte ich auch sehr gerne verzichtet. Doch verdanken wir diesen Erkentnissen auch unseren heute kritischen Blick auf Medienberichte und die Existenz anderer Medien wie www.fluegel.tv oder www.cams21.de.

Ja, wir werden +++ Gedenken, mahnen, achten +++ und eines werden wir sicher nicht: uns entmutigen oder entmündigen lassen. Wir sind international in guter Gesellschaft, denn viele wehren sich gegen sinnlose Großprojekte, die viele viel Geld kosten und von denen wenige profitieren. Warum man darüber nichts in den Medien erfährt ist auch eine Frage, der sich nachzugehen lohnt. Einstweilen gibt es hier eine Übersicht: http://stuttgart21international.wordpress.com/

Wir werden irgendwann in der guten Gesellschaft derer sein, die sich gewehrt haben, ein Projekt gestoppt und die Bereicherung einiger weniger verhindert haben. Denn die Geschichte gibt uns Recht. Was blieb beispielsweise von den phantastischen 100.000 neuen Arbeitsplätzen durch den Flughafenausbau in Frankfurt? Genau. Nichts: http://www.taz.de/!101870/

Deshalb: +++ Mitmachen +++

+++ Sichtbar bleiben +++ Buttons tragen, Aufkleber am Auto haben, Flyer auf der Hutablage, und nach Stuttgart kommen zum Protestwochenende: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2012/09/19/langes-protest-wochenende-am-29-und-30-september/

Der +++ Sternmarsch zum 29.09 +++ aus Tübingen findet zwar reichlich Zustimmung, aber leider bisher keine Mitwanderer. Sicher ist der Weg weit von Tübingen, aber wenigstens für die letzte Etappe von Degerloch sollten sich doch BegleiterInnen finden? Alle Infos wie Karte, Route, Zeitplan gibt es hier: http://www.parkschuetzer.de/diskussionen/aktionen/themen/1816 Bitte meldet Euch unter der angegebenen Mailadresse an.

Tische für die +++ Infomeile +++ am 29.09. auf dem Schloßplatz können bis Montag, 24. September unter infostaende-2909(at)gmx.de mit Angabe Eures Namens, des Namens Eurer
Gruppe, Eures Themas und wieviel Frontmeter Ihr für Euren Infotisch/Infostand benötigt aufgegeben werden.

Die Aktion „Roter Faden“ will der Kriminalisierung ein Gesicht geben: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2012/09/20/aktion-roter-faden-am-30-9/

An der Mahnwache gibt es +++ Flyer + Plakate +++ für die Veranstaltungen. Höchste Zeit sie zu verteilen! Zum Anschauen, elektronisch verteilen und verlinken auch bei uns: http://infooffensive.de/2012/09/empoert-euch/ und http://infooffensive.de/2012/09/gedenktag-30-9-2012/

+++ Montagsdemo +++

Die morgige Demo widmet sich juristischen Themen um Stuttgart 21, für die Demo am 1.10. hat Dr. Christoph Engelhardt einen Beitrag zugesagt.

Ich hoffe, wir sehen uns!

Andrea
für IO.KO

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