Liebe InfoOffensive,
ich bediene mich heute aus einer Rundmail von Werner Sauerborn, Gewerkschafter gegen S21. Er liegt in vielem richtig und ich finde seine Einlassung bedenkenswert, daher schicke ich den Text an Euch weiter. Werner schreibt:
„Wenn Bürgerbewegungen scheitern, dann meist nicht an der Stärke der Gegner, sondern an ihrer Uneinigkeit, an Spaltungen – so aus dem Gedächtnis zitiert – Dr. Wolfgang Sternstein, langjähriger Friedensaktivist mit Gefängniserfahrung und Mitstreiter gegen S21. Gerade wenn’s nicht mehr bergauf geht, schlägt die Stunde der Rechthaber und Schuldzuweiser.
Ausgerechnet jetzt, wo die Sackgassen des Projekts immer sichtbarer werden (Gebäudeabsenkungen, absehbares Stadtbahnchaos…), beschäftigt sich die Bewegung statt mit dem Gegner zuviel mit sich selbst, befeuert noch durch die Berichterstattung der Stuttgarter Zeitung in der letzte Woche. Ärgerlicher dabei als die vielen sachlichen Falschdarstellungen (http://wordpress.k21.webseiten.cc/gemeinsam-gegen-stuttgart-21/ als Reaktion auf http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-aktionsbuendnis-will-sich-von-parkschuetzern-distanzieren.1a358dd6-0891-4191-9578-94f948aa6624.html und mehrere unterstützende Artikel in der StZ), die ellenlange Gegendarstellungen gerechtfertigt hätten, war dabei das völlig verdrehte Bild der Konfliktlage, das etwa so aussehen sollte: Hier die bösen Parkschützer und Teile des Aktionsbündnisses, die auf Montagsdemos stehen, bei denen vor allem Autofahrer geärgert werden sollen, und da die guten Grünen, die das nicht wollen und deswegen aussteigen wollen aus den Montagsdemos.
Tatsächlich ist sich das Aktionsbündnis, einschließlich der aktiven Parkschützer seit langem einig, dass rituelle Straßenblockaden kontraproduktiv sind und die Montagsdemos besser auf den Marktplatz zurückkehren. Das hätte schon längst geschehen können. Aber Bürgerbewegungen brauchen etwas länger, ihre Differenzen auszutragen. Mit Konflikten umzugehen, ohne dass sie zu Spaltungen führen, hat diese Bürgerbewegung eigentlich gelernt. Weder die Besetzung des Bahnhofsdachs im August 2010, allen voran Hannes Rockenbauch, noch die Aktionen einzelner Gruppen am 3. Oktober letzten Jahres, haben die Bewegung zerrissen. Zoff ja, Spaltung nimmer! Auch den Konflikt um die Montagsdemos wird diese Bewegung am Ende meistern.
Die Montagsdemos sind es eben nicht, die die Spaltungsgefahr heraufbeschwören, es ist die Frage: welche Rolle sollen/dürfen die Grünen in der Bürgerbewegung spielen? Hier empfiehlt sich ein kühler Blick ohne Emotion auf die politische Konstellation.
Die Grünen sind beides: sowohl die Kretschmannpartei, die sich gegen das Ziel der Bürgerbewegung gestellt hat, sich ihr Ende wünscht, als auch die Partei vieler engagierter S21-Gegner, die wichtiger Teil des Widerstands sind, wegen Ihres Engagements, auch auf den Demos, wegen ihrer Kompetenz. Gut ist, wenn Letztere den grünen Umfallern Beine machen. Schlecht ist, wenn es umgekehrt geht und eine Grüne Parteiregie versucht, den Widerstand in ihrem Interesse zu kanalisieren, z.B. weg von der Straße zu bringen. Das ist der Konflikt, der sich gerade besonders im Aktionsbündnis abspielt. Aber nicht nur da. Das Dilemma mit den Grünen hat die ganze Bürgerbewegung, auch die Aktiven Parkschützer, auch die Stadtteilgruppen, selbst die Kontext-Redaktion. Dass es jetzt so aufpoppt und die Grünen mit Druck und Tempo ihre Interessen im AB durchzusetzen versuchen, hat natürlich mit dem bevorstehenden Gemeinderatswahlen zu tun und der Angst vor neuen Niederlagen.
Man kann dem Bündnis nur wünschen, dass es sich die notwendige Zeit nimmt (aber auch nicht mehr), um eine gute Lösung zu finden, friedlich zusammen bleiben oder friedlich trennen. Wer Zeitdruck macht und über die Medienbande spielt, erhöht das Spaltungsrisiko. Das Aktionsbündnis muss unabhängig bleiben von parteipolitischer Einflussnahme. Die Grünen müssen ihr Problem lösen: Wollen sie an der Seite der Bürgerbewegung bleiben und als Partei Teil des Bündnisses gegen S21 bleiben oder nicht? Als Kretschmann-Grüne jedenfalls sind sie fehl am Platz in einem Bündnis gegen S21. Aber dann könnten Grüne ja auferstehen als „Grüne gegen S21“, so wie die SPDler gegen S21. Das vor der Gemeinderatswahl wäre allerdings das Trauma Grüner Wahlstrategen.“
Ich selbst möchte nur noch ergänzen: Es geht hier immer auch um Menschen, an denen unterschiedliche Interessen mit unterschiedlicher Intensität zerren. Wenn sich beispielsweise keine VertreterIn der Grünen findet, die den Spagat zwischen den Regierungsinteressen einerseits und Bürgerbewegungsinteressen andererseits auf die Dauer aushalten kann, ist eine Trennung vielleicht die einzige Lösung. Aber sie bedeutet nicht das Scheitern des Bündnisses an sich.
+++ Wichtig +++
Für die +++ Tunnelanwohner +++ wird es ernst. Das Gebäude der Landeswasserversorgung senkt sich weiter (http://netzwerke-21.de/?p=1653), die Entschädigungssituation ist undurchschaubar (http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-grundstueckseigner-nach-zweierlei-mass-entschaedigt.ebd5e52c-8e75-475d-9eac-b3a927e100a8.html) und die Eigentümer müssen sehen, wo sie bleiben (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-unten-wird-gebohrt-und-oben-wachsen-die-sorgen.80a9f85d-e49b-4d98-8fb8-3337d43d47ea.html). Unterstützung ist weder von der Stadt noch vom Land oder vom Haus & Grundbesitzerverein zu erwarten, denn alle stehen eisern auf der Projektseite. Ebenso wie die IHK, die jetzt ganz offiziell zu den Betroffenen zählt. Die Bahn möchte das Gebäude kaufen – natürlich nicht, weil es einsturzgefährdet wäre sondern nur um Kosten zu sparen: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-ihk-lehnt-das-abriss-angebot-der-bahn-ab.72093842-6f2e-4af9-b105-de63b650f24f.html. Das allerdings kann auch ganz anders betrachtet werden: http://netzwerke-21.de/?p=1800 und hier: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/01/16/s21-bahn-bietet-ihk-38-mio-fuer-abriss/
Aus diesem aktuellen Anlass gibt es morgen eine +++ neue Route für die Montagsdemo +++ und eine Kundgebung im Kernerviertel mit Beiträgen von Frank Schweizer (Netzwerke) und Dieter Reicherter: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/01/16/aus-aktuellem-anlass-montagsdemo-vom-hbf-ins-kernerviertel/
Wer dabei ist kann sich auch an der aktuellen +++ Widerstandsumfrage +++ von CamS21 und den Versorgern beteiligen: http://www.schaeferweltweit.de/blog/wp-content/uploads/2014/01/Umfragen_flyer_1.6.pdf
Noch ein wichtiger Termin: Die nächste +++ Laufdemo am 25.01.14 +++ trifft sich am Bücherknast und zieht über den Hauptbahnhof zum Marktplatz. Die Themen sind S-Bahn-Chaos und Stadtbahn-Chaos, beide aufbereitet von den Ingenieuren22.
+++ Lesetipps +++
Ein weiterer Sargnagel: http://www.kontextwochenzeitung.de/pulsschlag/146/neuer-filz-bei-stuttgart-21-1964.html
Eine bedenkenswerte Einlassung: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/01/18/martin-poguntke-wider-die-ausschliesseritis/
Ein bisschen Humor: http://www.sueddeutsche.de/O5H38L/1774874/STUTTGART-21.html
Lesen und mitmachen: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/01/17/offener-brief-an-die-bundeskanzlerin-merkel/
Die Pofalla-Sache: http://www.kopfbahnhof-21.de/
Mappus auch Mal wieder: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/mails-belegen-regen-kontakt-zwischen-mappus-und-notheis-a-944186.html
Herzliche Grüße und -oben bleiben!
Andrea
für IO.KO