IO Newsletter 11.10.2014: Ist demonstrieren heute modern?

Liebe InfoOffensive,

wenn ich die Stuttgarter Blättchen lese, dann tue ich das heute nur noch in geringem Maße um mich zu informieren. Wichtiger ist, welchen Eindruck, welche Meinung die Zeitungen bei ihren Lesern erzeugen möchten. Das geschieht in der Onlineausgabe nicht nur durch die eigenen Artikel, sondern in großem Maße durch die dort veröffentlichten Kommentare. Denn diese – so meint man – spiegeln ja die Mehrheit der Lesermeinungen wider. In welchem Maß das wahr ist, mag jeder selbst ausprobieren – ich habe es getan, meine Meinung ist irrelevant…

Bei S21 bin ich sicher nicht objektiv, also schaue ich auf ein anderes Thema: In Stuttgart streiken die Taxifahrer, weil sie am Cannstatter Wasen einen sehr ungünstigen Stellplatz zugewiesen bekamen. Der erste Kommentar zum Artikel lässt sich direkt darüber aus, wie modern demonstrieren ist: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.cannstatter-volksfest-taxifahrer-bestreiken-wasen.9132c8ef-7f88-494e-b6b3-af36e3e84716.html. Ein zweiter Artikel gibt die Taxifahrer dann in den Kommentaren zur beliebigen Beschimpfung und Diskreditierung frei: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.taxistreik-in-stuttgart-die-taxifahrer-sind-stinksauer.3fbdcb52-8bd6-4a0d-98c6-20756a9b1981.html. Mich brachte genau das zum Nachdenken. Denn tatsächlich haben sie wohl recht, sie sind am Wasen nicht mehr direkt sichtbar. Und dass Taxistände an unseren topmodernen zukunftsweisenden Shoppingmalls nicht berücksichtigt wurden, kann ich mir lebhaft vorstellen. Denn für wen oder was wird bei uns denn Politik gemacht? Genau: Für Investoren. Für einzelne, die das große Geld verdienen wollen. Um die Belange der BürgerInnen und Verkehrsströme geht es doch längst nicht mehr.

Das zeigt ganz aktuell die „Erörterung PFA 1.3 – Filderabschnitt“. Die sogenannte „Antragstrasse“ der Bahn ist seit 12 Jahren nicht genehmigungsfähig, wurde im sogenannten „Filderdialog“ von BürgerInnen verworfen – und war trotzdem Grundlage dieser Veranstaltung. Die Bahn gibt die verkehrlichen Nachteile zwar zu: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.stuttgart-21-flughafen-planung-bahn-raeumt-moegliches-scheitern-ein.242ffc68-2f38-4f53-944d-d782dfc50815.html – aber was wird damit bezweckt? Prof. Heimerl hat mit Hilfe der StN sehr schön erklärt, dass die arme Bahn ja nichts dafür kann, dass sie die bessere Planung nur deshalb nicht bauen kann, weil die Landesregierung auf dem Kostendeckel sitzt: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.heimerl-ueber-den-filder-bahnhof-wir-versuendigen-uns-an-unseren-kindern-und-enkeln.262e7aa3-e600-4613-aaab-b5f0cd20d75a.html. Wobei die Glaubwürdigkeit von Prof. Heimerl durchaus angezweifelt werden darf, da er offenbar vor einem halben Jahr noch ganz anderer Ansicht war: http://s21irrtum.blogspot.de/2014/10/der-stuttgart-21-offenbarungseid-von.html

Und bevor bei der Erörterung jetzt noch mehr Argumente auf den Tisch kommen, die die Planrechtfertigung des Gesamtprojekts S21 gefährden, wurde sie einfach beendet: http://www.filstalexpress.de/filstalexpress/regierungspraesidium-stuttgart-beendet-eroerterungsverhandlung-zum-planfeststellungsabschnitt-1-3-filderbereich-mit-flughafenanbindung/. Das bedeutet, von Brandschutz bis Bahnsteigneigung, von Lärmschutz bis Leistungsfähigkeit – noch immer hat die Bahn keines ihrer Planungsprobleme gelöst und kann sicher nicht von der Zukunftsfähigkeit des Projekts überzeugen.

Man ist sich einig: „Ein Planfeststellungsbeschluss darf nie und nimmer ausgesprochen werden“ (http://www.parkschuetzer.de/blog/714). Doch haben wir gerade erst beim Nesenbachdüker erlebt, das EBA bewertet das Projekt nicht nach Fakten und Risiken, sondern nach politischen Leitlinien. Wir dürfen also gespannt sein, ob auch die hier „städtebaulichen Chancen“ alle Risiken überwiegen. Die politischen Verstrickungen reichen jedenfalls bis zur Bundesregierung – was nicht neu aber jedes Mal wieder erschreckend ist: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-lex-s-21-soll-projekt-helfen.faea9e65-6659-49e6-bd56-8432f9a1b4f5.html

Wohin der lange Arm der Politik führt, zeigt immer wieder die Neuauflage des Untersuchungsausschusses zum Schwarzen Donnerstag 2010. Beim ersten Ausschuss untersuchte sich die Landesregierung selbst und konnte sich keine politische Einflussnahme auf die Polizei nachweisen – nicht sehr überraschend. Doch auch heute, nach dem Regierungswechsel, scheint das schwierig (http://www.morgenweb.de/nachrichten/sudwest/ausschuss-tritt-auf-der-stelle-1.1922855). Auch nicht sehr überraschend, wenn schon bei den Akten die Definition von „vollständig“ etwas auseinandergeht: http://www.swr.de/landesschau-aktuell/bw/u-ausschuss-schwarzer-donnerstag-brisanter-aktenvermerk-fehlt/-/id=1622/nid=1622/did=14318968/1ja8gmy/index.html. Man darf sich fragen, wie viele Untersuchungsausschüsse in der Bundesrepublik ins Leere gelaufen sind, weil es im Anschluss keine neue Regierung gab, die eine Neubearbeitung gefordert hat. Doch auch ein Regierungswechsel löst nicht jedes Problem, wie der Landesrechnungshof eindrücklich beweiset: http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/der-chef-ein-kronzeuge-der-cdu–92640172.html. Müssten solche Kontrollgremien nicht in irgend einer Form „neutral“ besetzt sein?

Gibt es das noch, diese „Neutralität“? Die Polizei hat nach dem Schwarzen Donnerstag jede Einflussnahme der Politik bestritten – doch müsste sie dann nicht ihre eigenen Motive besser erklären? Für mich persönlich ist es glaubwürdig, dass die Regierung um Herrn Mappus Zeichen setzen wollte (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.polizeieinsatz-im-schlossgarten-einsatz-durfte-nicht-scheitern.6f5ab49c-0afd-42ea-b2bc-2b4a343a1d6d.html). Aber welche Zeichen hätte die Polzei setzen sollen? Bei den Wasserwerferprozessen wird dieser Aspekt natürlich nicht beleuchtet, denn hier stehen nur die Ausführenden vor Gericht. Trotzdem ist es spannend zu lesen, wie der Prozess abläuft, und was die Beteiligten dazu sagen. Auch in der Prozesspause wird berichtet: http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/184/beifall-verboten-2487.html

Also – mir ist es egal ob demonstrieren nun modern ist und ob inzwischen jeder, der eine Meinung hat, irgendwie diskreditiert wird. Ich finde, wir sollten einfach weitermachen – denn es ist eine der wenigen Möglichkeiten die uns offen stehen, im Bewusstsein der Bevölkerung zu bleiben. Deshalb: Montagsdemo – http://www.bei-abriss-aufstand.de/2014/10/09/die-242-montagsdemo-am-13-10/

Und wer am Montag sowieso schon in der Stadt ist – der Wasswerwerferprozess geht in die nächste Runde – ab 13:30 Uhr wird der Einsatzleiter des DRK als Zeuge gehört.
Am Mittwoch (15.10.14) wirds auch spannend, da wird Herr Stumpf vernommen (09:00 Uhr – beide Veranstaltungen im Landgericht: http://www.landgericht-stuttgart.de/pb/,Lde/1195700)

Wer seine Kritik lieber direkt adressieren will – am 18. Oktober fährt ein Sonderzug zum EBA nach Bonn: http://www.bonnfahrt.de/ . Es sind noch Plätze frei!

Oben bleiben!
Andrea
für IO.KO

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