Politik selber machen?

Politik selber machen?
Rollenverteilung gestern und heute

Eine persönliche Betrachtung zweier IO-lerinnen.

Nehmen wir einen König im Mittelalter. Wer hätte den Mut gehabt, ihm eine unangenehme Wahrheit zu sagen? Niemand, denn das hätte ihn Job und Ansehen, unter Umständen sogar den Kopf gekostet. Nun hielten sich die Könige – obwohl von Schmeichlern umgeben – jedoch gar nicht alle für unfehlbar. Sie wussten, sie brauchten jemanden, der ihnen Wahrheiten sagen würde. Und so wurde er geschaffen:

Der Hofnarr

Die Narren an Herrscherhäusern im Mittelalter hatten ernste Aufgaben und waren weit entfernt vom puren Spaßmacher. „Die Hofnarren als Offizianten (in einem festen höfischen Amt) sollten ihren Herrn ursprünglich gar nicht belustigen, sondern ihn als ernste Figur ständig daran erinnern, dass auch er der Sünde verfallen könne und in religiöser Deutung seinem Herren als Erinnerer an die Vergänglichkeit seines menschliches Dasein dienen. Sie waren also eine soziale Institution zulässiger Kritik.“ (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narr). Sie waren Ratgeber und hielten den Herrschenden den Spiegel vor. In der Rückschau kann man sich vorstellen, dass sie tiefen Einblick sowohl in höfische Intrigen als auch in die Regierungsgeschäfte hatten.

Heute: Der Kabarettist

Heute wird die offene Kritik an Regierungen durch Satire und Kabarett geäußert. Nur so genießt sie die gleiche Freiheit wie früher der Hofnarr. Doch es scheint, dass den Kabarettisten inzwischen sogar mehr Kompetenz in Regierungsgeschäften zugetraut wird, als den Regierenden selbst. Wie sonst ist es zu erklären, dass Beppe Grillo – italienischer Komiker und politischer Kabarettist – mit seiner Bewegung Fünf-Sterne „MoVimento 5 Stelle“ bei der Parlamentswahl in Italien 25 % der Stimmen erhalten konnte?

Der Aufschrei in der etablierten europäischen Politik war groß. Dabei ist Grillo einfach jemand, der den Berufspolitikern zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger sich nicht alles gefallen lassen, was „die Politik“ ihnen vorsetzen will. Und dieser Wahlerfolg war nicht sein erster. Im Oktober 2012 wurde seine Bewegung stärkste Kraft auf Sizilien http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2012/10/30/sizilien-auf-anti-eu-kurs-comedian-beppe-grillo-gewinnt-sizilien-wahl/.

Da Grillo als Bedrohung für bestehende Machtverhältnisse gesehen wird, reagieren die sogenannten „etablierten“ wie man es kennt: mit Diffamierung. In den Medien zeigt man ihn daher am liebsten, wie er auf Bühnen herumschreit.
Dabei scheint er sehr vernünftige Ansichten zu vertreten, und lässt beispielsweise viele sogenannte „Sachzwänge“ einfach nicht gelten. Ein sehr sehenswertes Interview: http://www.youtube.com/watch?v=w7I9OwaPq7g (die deutschen Untertitel können in der unteren Menüleiste ein- und ausgeschaltet werden).

Nichts anderes tat Jón Gnarr, der so titulierte „Rathaus-Punk von Reykjavík“.

Er hat die eingefahrene und etablierte Politik der sogenannten „Berufspolitiker“ durcheinandergewirbelt, als er mit einer Spaßpartei kandidierte und 2010 auf Anhieb mehr als ein Drittel aller Stimmen erhielt und so zum Bürgermeister gewählt wurde.
Warum? Weil alle so zufrieden waren mit den „Berufspolitikern“? Wohl kaum.

Nachdem er gewählt wurde, hat er nicht gekniffen, sondern ist seine Aufgabe mit gesundem Menschenverstand angegangen und nimmt sein Amt sehr ernst. Er plädiert beispielsweise dafür, dass mehr normale Menschen Politik machen: „Nach selbstgemachtem Politikermythos dürfen nur die Auserwählten in die Politik – und das finde ich ziemlich gefährlich für unsere Demokratie.“ Hier gibt es zwei Interviews mit ihm:
http://www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel/2012/07/der-rathaus-punk-von-reykjavik/
http://www.theeuropean.de/gnarr-jon/12391-vielfalt-in-der-politik

Was erwarten wir von Politikern?

Jón Gnarr wünscht sich normale Menschen in der Politik, Beppe Grillo möchte nicht, dass Bürger ihm als gewählten Vertreter vertrauen, sondern dass sie sich einmischen, dass sie mitmachen.

Zu diesem Schluss kommt auch Karl Braig. Er gehört zu den Stuttgart21-Gegnern, die wegen ihrer Teilnahme an der Nordflügelbesetzung verurteilt wurden. Er wählte für 15 Tagessätze eine Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Rottenburg und führte dort ein Tagebuch. Er kommt zu dem Schluss: „wenn man Lug und Trug in der Politik entgegentreten will, muss man Politik selber machen“ Nachzulesen hier: http://blognau.wordpress.com/2013/02/22/karls-haft-tagebuch-teil-2/

Muss man das?

Dass wir uns einmischen müssen ist uns längst klar, wir tun es ständig mit unserer Bewegung. Doch muss man wirklich selbst kandidieren?
Wenn die Bürgerinnen und Bürger die Hofnarren in die Regierung wählen, verstehen die „etablierten Politiker“ dies nicht als Forderung nach mehr Ehrlichkeit?

Müssen wir „Politik selber machen“ oder können wir unsere Regierenden dazu bringen ihre Arbeit ordentlich zu machen?

Mehr zum Thema:

Wir sind Demokratie! Podiumsdiskussion im Theaterhaus Stuttgart am 2. Juli 2012 http://www.youtube.com/watch?NR=1&v=3LcseTdiSaM&feature=endscreen

Amerikanische Talkshow Inside Cityhall Teil 1: http://www.youtube.com/watch?v=DoH1EadFJJw
Inside Cityhall Teil 2: http://www.youtube.com/watch?v=JjcqGr3hr0U
Isländische Dokumentation über Jón Gnarr mit englischen Untertiteln http://www.youtube.com/watch?v=iUraTP6d6cg

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