IO-Newsletter 18.01.2015: Wie ist das denn jetzt mit den S21-Gegnern und der Politik?

Liebe InfoOffensive,

die Diskussion über den Artikel, den Peter Conradi in der letzten Woche in der Kontext veröffentlichte, ist noch nicht vorbei. In dieser Woche antwortet Matthias v. Herrmann – sehr treffend, wie ich finde: http://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/198/s-21-vom-sprint-zur-langstrecke-2671.html. So viele Facetten hat die Bewegung, so viele Facetten hat die Politik. Und jeder von uns sieht nur einen Teil, sieht nur eine Perspektive. Eigentlich sollte das gut sein, denn da wir so viele sind und so verschieden, decken wir sehr viele Bereiche ab. Die Sachargumente werden je nach Fakultät von den Ingenieuren, den Geologen, den Juristen, den Eisenbahnern, den Architekten und allen, die ich jetzt vergessen habe, erklärt und vertreten. Die politischen Aspekte jedoch, ja, wir haben keine Fachgruppe „Politiker gegen Stuttgart21“. Die hätte es auch schwer, denn wir alle wissen, Politik ist ein schmutziges Geschäft. Und kaum jemand von uns möchte sich an die Regeln dieses hässlichen Spiels halten. Doch Matthias hat Recht, Politiker sind es, die die Entscheidungen treffen.

Zu Beginn unseres Protestes habe ich in meiner ganzen Naivität ja auch geglaubt, man müsse nur allen erzählen wie es wirklich ist und dann würde der Mist ja nicht gebaut. Ich glaubte schon, es wären halt alle schlecht informiert, so wie ich es davor auch war, und mit Infoständen und Flyeraktionen, mit Kundgebungen und Aktionstagen, gefüllt mit echten Argumenten müsste der Irrsinn doch innerhalb überschaubarer Zeit zu stoppen sein. Gut, man lernte dann: so etwas dauert länger, wegen der Legislaturperioden und so. Aber nach der Wahl dann. Gut, dann aber mit der Volksabstimmung. Oder Filderdialog – oder was auch immer. Und dann – ja – dann kam irgendwie die Erkenntnis: So funktioniert dieses Spiel einfach nicht. Ich verstehe die Regeln bis heute nicht, mich kann man immer wieder überraschen und erschrecken. Gerade erst, als ich gelesen habe, dass die CSU-Pauli auf Sylt Bürgermeisterin werden wollte. Angeblich, so las man, weil sie „gebeten“ wurde. Sie hatte bis zur Kandidatur überhaupt keinen Bezug zur Insel, verbrachte dort keinen Urlaub oder ähnliches – aber sie kam von 0 auf 30% bei der Wahl (http://www.sueddeutsche.de/politik/gabriele-pauli-auf-sylt-sturmerprobt-1.2267994). Warum? Einfach, weil sie das Spiel beherrscht. Gut, auf der Zielgeraden wurde sie dann doch von einem Einheimischen überholt – aber man kann sich eben nicht immer auf die „Schwarmintelligenz“ der Gesellschaft verlassen.

Denn nur mit Argumenten – nun – so funktioniert auch die moderne Gesellschaft nicht. So lange jemand die Möglichkeit zum Profit sieht, so lange ist ihm einfach jedes Mittel recht ihn zu erreichen. Wer hätte gedacht, dass sich schon am Tag des Attentats in Paris der erste Interessent um die Markeneintragung von „Je suis Charlie“ bemühte? Während tausende noch sprachlos und geschockt die Berichterstattung verfolgten, wussten manche schon, wie sie daraus Kapital schlagen können. Und jemand schreibt als Kommentar unter einen kritischen Artikel sinngemäß: Bei Charlie Hebdo verdient man sich jetzt eine goldene Nase, die können ruhig etwas abgeben: http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/charlie-hebdo-je-suis-charlie-soll-vor-dem-kommerz-geschuetzt-werden/11238248.html. Sicher, nicht alle sind so – aber ein großer Teil ist es doch, oder?

Hier im Ländle geht es ja schon bald wieder los mit dem Wahlkampf. Und ich bin sicher, nur wir sind daran interessiert, dass S21 auch dieses Mal ein Thema bleibt. Also werden wir unter Umständen zähneknirschend auf die hören, die die Regeln des Politik-Spiels einfach besser kennen.

Ach – natürlich gibt es auch auf der Sachebene immer noch Neuigkeiten:

Biber zum Beispiel: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-biber-an-bahnstrecke-aufgetaucht.02476e1b-13da-439f-8638-9aa57cab2e95.html
Eine Betrachtung zur Bahnsteigneigung: http://www.spiegel.de/video/bahnhof-bahngleise-schief-bremsen-s21-stuttgart-video-1547211.html
Streit ums Geld: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.filderbahnhof-und-verfassungsschutz-gruene-und-spd-geraten-sich-in-die-haare.307d04ef-5d58-4d78-beb2-c1ed7036d86a.html
Gezerre um die Filderlösung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-s-21-partner-pruefen-drei-varianten-am-flughafen.05a83302-4f16-4fee-9bb7-5a16c28834e0.html
Die Bahn interpretiert Transparenz noch immer anders als ich: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.s21-baustellenfuehrung-in-s-nord-geschlossene-gesellschaft.6c792529-8367-433d-b494-abc36e7e2667.html

Und was bitte ist eine „halbe Beweislastumkehr“? http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-neue-vertraege-fuer-betroffene-hausbesitzer.5319f974-745a-4665-9d5b-8646a66bc9df.html. Ich habe Herrn Grube noch wie gestern im Ohr als er 2010 bei einer Veranstaltung von Haus und Grund sagte „Wir werden keine Rückstellungen für Gebäudeschäden bilden, weil es keine Schäden geben wird, die man mit den Bauarbeiten in Zusammenhang bringen kann“. Aber Haus und Grund ist zufrieden. Na dann…

Schön ist ja, dass in Stuttgart immer noch jede Woche ganz viele Menschen auf die Straße gehen. Und das, obwohl es gar nicht immer zu ihrem ganz persönlichen Vorteil ist.

Ein besonderer Montag ist wie jedes Jahr der  Rosenmontag . 2015 unter dem Motto: „Kindchen, Du musst nicht so schrecklich viel denken“ ( http://infooffensive.de/wp-content/uploads/2015_Rosenmontag_Flyer.pdf ). Ich freue mich schon jetzt wieder auf viele kreative Kostüme, auf die Gelegenheit, den Widerstand einmal mehr bunt und fröhlich zu erleben!

Eine andere Veranstaltung, die mir am Herzen liegt, ist die Tagung „Stuttgart für alle“ am 30. und 31.01.2015. Das ganze Programm gibt es hier: http://www.architektinnen-fuer-k21.de/

Und ganz besonders natürlich: Die Montagsdemo, dieses Mal mit einem Bericht aus Talheim: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/17/die-256-montagsdemo-am-19-01/.
Achtung – bitte nicht alle Flyer mitnehmen, die auf den Demos verteilt werden: http://www.die-anstifter.de/2015/01/rechte-propaganda-auf-s21-demo/

Also: Oben bleiben – Köpfchen zeigen!
Andrea
für IO.KO

p. s. Gute Reise „Gerald vom Baum“: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/17/nachruf-gerald-vom-baum-hat-uns-verlassen/. Auch bei uns war er regelmäßig Gast und Ratgeber.

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IO Newsletter 11.01.2015: Schauen wir zu wenig über den Tellerrand?

Liebe InfoOffensive,

von Beginn an war uns klar: Stuttgart21 ist nicht nur ein Problem an sich. Es ist auch ein Symptom für weitreichendere Probleme in Gesellschaft und Politik. Ein Symptom für den über Jahrzehnte gewachsenen Filz, die selbstverständliche Missachtung des Volkswillens, die Bereicherung einzelner auf Kosten der Allgemeinheit – und zuletzt die schmerzhafte Erkenntnis, wie tief auch die Justiz in die politischen Verfilzungen verstrickt ist.

Nicht nur beim Wasserwerferprozess – auch im „Kleinen“ zeigt sich, wer im Gerichtssaal noch das Sagen hat. Justitia ist längst nicht so blind wie sie sein sollte, deshalb braucht +++ Loubi dringend unsere Hilfe +++: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/09/solidaritaet-mit-loubna/ . Sie ist halt kein Hoeneß, der neben Weihnachtsurlaub künftig auch wieder arbeiten gehen kann, dessen Strafe dann eigentlich nur in einem etwas unkomfortablen Bett besteht: http://www.welt.de/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-muenchen/article135112628/Ein-gewisses-Wohlwollen-hilft-Uli-Hoeness.html . Im Gegenteil, bei Loubis Verhandlung konnte „leider“ nicht einmal das Video abgespielt werden, das gezeigt hätte, wie es wirklich war. Vielleicht müsste man hier auch für einen Beamer sammeln?

Die vorzeitige Beendigung des +++ Wasserwerferprozesses +++ zeigt deutlich, wie wenig Interesse auf der Seite von Justiz und Staatsanwaltschaft an einer Aufklärung oder gar Aufarbeitung der Vorkommnisse besteht: http://www.kontextwochenzeitung.de/Politik/195/polizeiliches-zeugenkomplott-2634.html . Durch den Untersuchungsausschuss besteht zwar noch immer die Hoffnung, dass weitere Hintergründe ans Licht gezerrt werden ( http://www.kontextwochenzeitung.de/politik/195/kein-weihnachtsfrieden-in-sicht-2626.html ), doch das Vertrauen in die Politik ist nun auch nicht gerade groß. Im Gegenteil, die Grüne Landesregierung wird in „Widerstandskreisen“ weithin als „unwählbares Lügenpack“ bezeichnet. Doch manchmal komme ich da nicht umhin mich zu fragen: Was ist die Alternative? Werden wir uns zersplittern lassen und wer wird letztendlich profitieren? Und ist die Erwartung, dass eine Landesregierung – mit Koalitionspartner aus dem „alten System“ – das Geflecht aus Filz und alten Schulden in allen Bereichen des öffentlichen Lebens in einer einzigen Legislatur aus den Angeln hebt, wirklich gerechtfertigt?

Oh – natürlich bin auch ich oft genug wütend auf Herrn Kretschmann ( http://infooffensive.de/2014/11/io-newsletter-28-11-2014-wer-spricht-den-kretschmann/ ). Aber muss man nicht immer wieder den Blick heben und sich überlegen, wie viele Themen eigentlich sonst noch wichtig sind? Vom Flüchtlingsstrom über die Bildungspolitik bis Pegida – oder zum Terror gegen die Meinungsfreiheit (jetzt auch in Deutschland: http://www.spiegel.de/panorama/unbekannte-verueben-brandanschlag-auf-hamburger-morgenpost-a-1012368.html ). Hat Peter Conradi Recht, wenn er sagt, der Widerstand isoliere sich? ( http://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/197/isolierte-s-21-gegner-2653.html ). Ich selbst habe diese Erfahrung im Kleinen gerade gemacht: Ich wollte, dass eine gute Freundin vom anderen Ende Deutschlands versteht wie das hier ist mit der Polizeigewalt, dem Schwarzen Donnerstag, dem Versagen der Justiz, dem politischen Filz und so weiter. Aber, je dringender ich überzeugen wollte, je mehr ich erzählte, desto mehr kam sie zu der Überzeugung, wir seien hier alle Verschwörungstheoretiker und wünschten uns ein Leben in – ja was – einem anderen Land, einem anderen System – ja was eigentlich? Seither denke ich, es schadet nicht, gelegentlich die Erwartungen an die Realität anzupassen, auch wenn das Kompromisse erfordert. Und langfristig hätte ich persönlich mehr davon gehabt, im Gespräch zu bleiben. Und langfristig müssen wir alle in unserer Gesellschaft weiterhin zusammenleben – auch mit den sturköpfigen Nachbarn, auch mit denen, die wir nicht überzeugen können und denen, mit denen wir gar nichts gemeinsam haben. Und wir werden immer wieder Kompromisse machen müssen.

Wie weit der Weg zur Wahrheit sein kann, zeigt uns das Thema Atomkraft. Vor 40 Jahren wurden die Atomkraftgegner als Spinner belächelt, die irgendwann bei Kerzenschein in ihrer Höhle verschwinden würden. Und heute? Heute wissen wir, alles war wahr: Die unterschätzte Gefahr des GAU, die bis heute nicht gefundene Lösung für die Müllentsorgung – und bis heute schauen wir dabei zu wie die Gewinne privatisiert und wie die Verluste sozialisiert werden – eine Kritik, die ebenfalls schon vor 40 Jahren laut wurde. 40 Jahre – eine unvorstellbar lange Zeit. Nein, so lange will sicher keiner von uns warten. Und gerade deshalb scheint es mir wichtig, unsere Kräfte zu bündeln. Uns auf unsere Gemeinsamkeiten zu besinnen – denn unsere Vorstellung über die Ausgestaltung des „Systems“ in dem wir leben wollen, ist sicher nicht deckungsgleich.

Und wir erzielen Erfolge. Schritt für Schritt. Die Kennzeichnungspflicht für Polizisten ist ein Ergebnis des Schwarzen Donnerstags. Und sie kommt – gegen alle Widerstände des „alten Systems“:  http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.polizisten-in-baden-wuerttemberg-kennzeichnungspflicht-kommt.a90af869-daad-46b3-9af4-60d49a058a1d.html . Und die „Vetterleswirtschaft“ im großen Stil funktioniert zwar noch – sie wird aber offen diskutiert: http://www.sz-online.de/nachrichten/millionen-fuer-den-weichensteller-3006875.html

Deshalb machen wir natürlich auch 2015 weiter – und versuchen es auch einmal mehr mit Humor. Die Kampagne +++ Für unsere Stadtbahn +++ geht in die nächste Runde – jetzt mit einem neuen Comic: http://infooffensive.de/wp-content/uploads/COMIC-Charlie.pdf. Diesen gibt es als Flyer zum Verteilen an der Mahnwache.

Und natürlich gibt es weitere +++ Veranstaltungen +++

Am 17.01.2015 veranstalten die Badener Infostände in Bretten in der Fußgängerzone: http://www.parkschuetzer.de/statements/179624
Am 30. und 31.01. 2015 laden die ArchitektInnen zur Tagung „Stuttgart für alle“: http://www.parkschuetzer.de/statements/179642. Das Programm gibt es hier: http://www.architektinnen-fuer-k21.de/

Nicht zu vergessen: die +++ Montagsdemo +++ – ab morgen auf dem Schloßplatz: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/08/die-255-montagsdemo-am-12-01/

Herzliche Grüße und – oben bleiben!
Andrea
für IO.KO

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