Liebe InfoOffensive,
die Diskussion über den Artikel, den Peter Conradi in der letzten Woche in der Kontext veröffentlichte, ist noch nicht vorbei. In dieser Woche antwortet Matthias v. Herrmann – sehr treffend, wie ich finde: http://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/198/s-21-vom-sprint-zur-langstrecke-2671.html. So viele Facetten hat die Bewegung, so viele Facetten hat die Politik. Und jeder von uns sieht nur einen Teil, sieht nur eine Perspektive. Eigentlich sollte das gut sein, denn da wir so viele sind und so verschieden, decken wir sehr viele Bereiche ab. Die Sachargumente werden je nach Fakultät von den Ingenieuren, den Geologen, den Juristen, den Eisenbahnern, den Architekten und allen, die ich jetzt vergessen habe, erklärt und vertreten. Die politischen Aspekte jedoch, ja, wir haben keine Fachgruppe „Politiker gegen Stuttgart21“. Die hätte es auch schwer, denn wir alle wissen, Politik ist ein schmutziges Geschäft. Und kaum jemand von uns möchte sich an die Regeln dieses hässlichen Spiels halten. Doch Matthias hat Recht, Politiker sind es, die die Entscheidungen treffen.
Zu Beginn unseres Protestes habe ich in meiner ganzen Naivität ja auch geglaubt, man müsse nur allen erzählen wie es wirklich ist und dann würde der Mist ja nicht gebaut. Ich glaubte schon, es wären halt alle schlecht informiert, so wie ich es davor auch war, und mit Infoständen und Flyeraktionen, mit Kundgebungen und Aktionstagen, gefüllt mit echten Argumenten müsste der Irrsinn doch innerhalb überschaubarer Zeit zu stoppen sein. Gut, man lernte dann: so etwas dauert länger, wegen der Legislaturperioden und so. Aber nach der Wahl dann. Gut, dann aber mit der Volksabstimmung. Oder Filderdialog – oder was auch immer. Und dann – ja – dann kam irgendwie die Erkenntnis: So funktioniert dieses Spiel einfach nicht. Ich verstehe die Regeln bis heute nicht, mich kann man immer wieder überraschen und erschrecken. Gerade erst, als ich gelesen habe, dass die CSU-Pauli auf Sylt Bürgermeisterin werden wollte. Angeblich, so las man, weil sie „gebeten“ wurde. Sie hatte bis zur Kandidatur überhaupt keinen Bezug zur Insel, verbrachte dort keinen Urlaub oder ähnliches – aber sie kam von 0 auf 30% bei der Wahl (http://www.sueddeutsche.de/politik/gabriele-pauli-auf-sylt-sturmerprobt-1.2267994). Warum? Einfach, weil sie das Spiel beherrscht. Gut, auf der Zielgeraden wurde sie dann doch von einem Einheimischen überholt – aber man kann sich eben nicht immer auf die „Schwarmintelligenz“ der Gesellschaft verlassen.
Denn nur mit Argumenten – nun – so funktioniert auch die moderne Gesellschaft nicht. So lange jemand die Möglichkeit zum Profit sieht, so lange ist ihm einfach jedes Mittel recht ihn zu erreichen. Wer hätte gedacht, dass sich schon am Tag des Attentats in Paris der erste Interessent um die Markeneintragung von „Je suis Charlie“ bemühte? Während tausende noch sprachlos und geschockt die Berichterstattung verfolgten, wussten manche schon, wie sie daraus Kapital schlagen können. Und jemand schreibt als Kommentar unter einen kritischen Artikel sinngemäß: Bei Charlie Hebdo verdient man sich jetzt eine goldene Nase, die können ruhig etwas abgeben: http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/charlie-hebdo-je-suis-charlie-soll-vor-dem-kommerz-geschuetzt-werden/11238248.html. Sicher, nicht alle sind so – aber ein großer Teil ist es doch, oder?
Hier im Ländle geht es ja schon bald wieder los mit dem Wahlkampf. Und ich bin sicher, nur wir sind daran interessiert, dass S21 auch dieses Mal ein Thema bleibt. Also werden wir unter Umständen zähneknirschend auf die hören, die die Regeln des Politik-Spiels einfach besser kennen.
Ach – natürlich gibt es auch auf der Sachebene immer noch Neuigkeiten:
Biber zum Beispiel: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-biber-an-bahnstrecke-aufgetaucht.02476e1b-13da-439f-8638-9aa57cab2e95.html
Eine Betrachtung zur Bahnsteigneigung: http://www.spiegel.de/video/bahnhof-bahngleise-schief-bremsen-s21-stuttgart-video-1547211.html
Streit ums Geld: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.filderbahnhof-und-verfassungsschutz-gruene-und-spd-geraten-sich-in-die-haare.307d04ef-5d58-4d78-beb2-c1ed7036d86a.html
Gezerre um die Filderlösung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-s-21-partner-pruefen-drei-varianten-am-flughafen.05a83302-4f16-4fee-9bb7-5a16c28834e0.html
Die Bahn interpretiert Transparenz noch immer anders als ich: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.s21-baustellenfuehrung-in-s-nord-geschlossene-gesellschaft.6c792529-8367-433d-b494-abc36e7e2667.html
Und was bitte ist eine „halbe Beweislastumkehr“? http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-neue-vertraege-fuer-betroffene-hausbesitzer.5319f974-745a-4665-9d5b-8646a66bc9df.html. Ich habe Herrn Grube noch wie gestern im Ohr als er 2010 bei einer Veranstaltung von Haus und Grund sagte „Wir werden keine Rückstellungen für Gebäudeschäden bilden, weil es keine Schäden geben wird, die man mit den Bauarbeiten in Zusammenhang bringen kann“. Aber Haus und Grund ist zufrieden. Na dann…
Schön ist ja, dass in Stuttgart immer noch jede Woche ganz viele Menschen auf die Straße gehen. Und das, obwohl es gar nicht immer zu ihrem ganz persönlichen Vorteil ist.
Ein besonderer Montag ist wie jedes Jahr der Rosenmontag . 2015 unter dem Motto: „Kindchen, Du musst nicht so schrecklich viel denken“ ( http://infooffensive.de/wp-content/uploads/2015_Rosenmontag_Flyer.pdf ). Ich freue mich schon jetzt wieder auf viele kreative Kostüme, auf die Gelegenheit, den Widerstand einmal mehr bunt und fröhlich zu erleben!
Eine andere Veranstaltung, die mir am Herzen liegt, ist die Tagung „Stuttgart für alle“ am 30. und 31.01.2015. Das ganze Programm gibt es hier: http://www.architektinnen-fuer-k21.de/
Und ganz besonders natürlich: Die Montagsdemo, dieses Mal mit einem Bericht aus Talheim: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/17/die-256-montagsdemo-am-19-01/.
Achtung – bitte nicht alle Flyer mitnehmen, die auf den Demos verteilt werden: http://www.die-anstifter.de/2015/01/rechte-propaganda-auf-s21-demo/
Also: Oben bleiben – Köpfchen zeigen!
Andrea
für IO.KO
p. s. Gute Reise „Gerald vom Baum“: http://www.bei-abriss-aufstand.de/2015/01/17/nachruf-gerald-vom-baum-hat-uns-verlassen/. Auch bei uns war er regelmäßig Gast und Ratgeber.